Und dann ist wirklich Weihnachten | Geschichten von Kirsten Boie by Kirsten Boie

Und dann ist wirklich Weihnachten | Geschichten von Kirsten Boie by Kirsten Boie

Autor:Kirsten Boie [Boie, Kirsten]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783862741199
Herausgeber: Oetinger E-Books
veröffentlicht: 2013-12-12T05:00:00+00:00


Ein Glück, dass Mama ganz lange warten kann, bis er ihr alles erklärt hat, und dass sie gar nicht ungeduldig wird. Sie knuddelt ihn nur ein bisschen, wenn er vor Weinen nicht reden kann, und nach und nach versteht sie die ganze Geschichte.

»Und jetzt bist du also ganz traurig?«, fragt Mama und gibt Paule ein Taschentuch.

Paule nickt und schnupft sich die Nase aus.

»Ich spiel den ollen Kaspar nicht!«, sagt Paule. »Ich will den Gabriel!«

Mama nickt. »Du kannst da bloß nichts machen, wenn sie dich als Gabriel nicht so gerne haben wollen«, sagt sie. »Es konnten ja auch nicht alle Mädchen Maria sein, oder?«

Paule schüttelt den Kopf, aber er hat irgendwie das Gefühl, dass es doch nicht ganz das Gleiche ist.

»Ich weiß mit Engeln nicht so genau Bescheid«, sagt Mama und gibt Paule ein neues Taschentuch. »Aber wenn es welche geben sollte, was ich nicht so ganz glaube, und wenn sie dann auch noch so aussehen sollten wie Menschen,

was ich noch viel weniger glaube, dann gibt es bestimmt mit jeder Hautfarbe welche und mit jeder Haarfarbe und mit allen möglichen Nasen und sogar mit krummen Beinen, denke ich mir.«

Das kann sich Paule nun wieder nicht vorstellen, weil er an den Engel Gabriel im Fernsehen denken muss und wie feierlich der war. Der jedenfalls hatte bestimmt keine krummen Beine.

»Du kannst nicht verlangen, dass du der Gabriel bist«, sagt Mama. »Auch wenn du traurig bist. Wenn sie ein anderes Kind wollen, dann musst du das schon hinnehmen. Zähneknirschend«, sagt Mama und trinkt einen Schluck Kaffee.

»Die blöde Sarah, was?«, fragt Paule, weil er sich vorstellt, wie Sarah mit ihren blonden Haaren über dem Stall schwebt.

Mama tut, als hätte sie das gar nicht gehört. »Aber du musst nicht den König Kaspar spielen, wenn du das nicht möchtest«, sagt Mama. »Du kannst ja auch einfach ein Hirte sein oder den Vorhang auf- und zuziehen, zum Beispiel.«

Das möchte Paule nun auch nicht so gerne, aber da klingelt es an der Tür und Andreas steht davor.

»Ich soll dich abholen«, sagt Andreas.

Paule schüttelt den Kopf. Morgen geht er da vielleicht wieder hin. Aber heute nicht. Heute ist es ihm viel zu schrecklich. Nachher lachen sie alle, weil er abgehauen ist. Nein, heute geht Paule nicht.

»Du kannst nun doch der Gabriel sein«, sagt Andreas. »Aber jetzt heult Sarah, weil sie gerne Engel sein wollte.«

»Die olle Ziege«, sagt Paule.

»Paule!«, sagt Mama, weil sie Schimpfwörter nicht mag.

Das ist Paule ganz egal. »Und wer ist jetzt der Kaspar?«, fragt er.

»Ich«, sagt Andreas. »Ich mal mir das Gesicht mit Schuhcreme an. Kommst du jetzt?«

Eigentlich kann Paule dann ja auch mitgehen. Er wird ein ungeheuer feierlicher Gabriel sein.

»Heute Mittag gibt’s Fischstäbchen«, ruft Mama ihm nach. Manchmal kann die Welt richtig schön sein.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.